Zusam­men­fas­sen­de Dar­stel­lung zum Urteil des BGH vom 17.03.2011 – IX ZR 162/08

Aus­gangs­fall

Der Klä­ger – ein nie­der­ge­las­se­ner Arzt – hat­te über vie­le Jah­re hin­weg eine Steu­er­be­ra­ter­kanz­lei mit der Wahr­neh­mung sei­ner steu­er­li­chen Ange­le­gen­hei­ten betraut. 1984 schloss er eine Lebens­ver­si­che­rung über eine Ver­si­che­rungs­sum­me von 3.000.000 DM mit einer Lauf­zeit bis zum 01.12.2000 ab. Von 1985 bis 1997 erhielt der Klä­ger von dem Ver­si­che­rungs­un­ter­neh­men zahl­rei­che Dar­le­hen, die als sog. Poli­cen­dar­le­hen nach Been­di­gung des Ver­si­che­rungs­ver­tra­ges durch Ver­rech­nung mit der aus­zu­zah­len­den Ver­si­che­rungs­sum­me getilgt wer­den soll­ten. Der Klä­ger bean­trag­te die Dar­le­hen jeweils zum Jah­res­en­de und sprach zuvor hier­über mit der Beklag­ten, die die Steu­er­be­ra­ter­kanz­lei 1991 über­nom­men hat­te.

Um eine Besteue­rung der Erträ­ge aus der Lebens­ver­si­che­rung zu ver­mei­den, inves­tier­te der Klä­ger die Dar­le­hens­be­trä­ge ab dem Jahr 1992 teil­wei­se in die Aus­stat­tung sei­ner Pra­xis, im Übri­gen in Betei­li­gun­gen an ver­schie­de­nen gewerb­li­chen Anla­gen.  Nach Kün­di­gung der Lebens­ver­si­che­rung stell­te das Finanz­amt mit Bescheid vom 16.03.1998 die Steu­er­pflicht der Zin­sen aus der Ver­si­che­rungs­sum­me fest, weil die ein­zel­nen Inves­ti­tio­nen nicht – wie steu­er­recht­lich gebo­ten – in enger zeit­li­cher Nähe zum Zeit­punkt der Dar­le­hens­aus­zah­lun­gen vor­ge­nom­men wor­den waren. Am 25.06.1998 erging gegen den Klä­ger ein Vor­aus­zah­lungs­be­scheid in Höhe von 629.163 DM.

Um eine steu­er­li­che Inan­spruch­nah­me abzu­wen­den, erwarb der Klä­ger im Dezem­ber 1998 mit­hil­fe eines Bank­kre­dits zwei Wind­kraft­an­la­gen sowie eine Betei­li­gung an einer drit­ten Anla­ge zu einem Preis von 3.860.000 DM. Hier­durch erreich­te er einen Ver­lust­rück­trag, durch den sei­ne Steu­er­last, die sich für das Jahr 1997 infol­ge der Erträ­ge aus der Lebens­ver­si­che­rung erge­ben hat­te, kom­pen­siert wur­de. Gleich­wohl nahm der Klä­ger die Beklag­te wegen feh­ler­haf­ter steu­er­li­cher Bera­tung in Anspruch. Für die ihm zusätz­lich ent­stan­de­ne Steu­er­last in Höhe von 902.349 DM, finanz­ge­richt­li­che Kos­ten in Höhe von 21.529,57 DM und 13.440,00 DM sowie für die vor­ge­richt­li­che Scha­denser­mitt­lung not­wen­di­gen Steu­er­be­ra­ter­kos­ten in Höhe von 15.113,41 EUR müs­se die Beklag­te auf­kom­men. Durch den Erwerb der Wind­kraft­an­la­gen sei der Scha­den nicht ver­rin­gert wor­den. Jeden­falls könn­ten die Aus­wir­kun­gen sei­ner Inves­ti­tio­nen nicht zu Guns­ten der Beklag­ten berück­sich­tigt wer­den.

Vor­in­stan­zen

Vom Land­ge­richt Mainz wur­de die Kla­ge abge­wie­sen. Auf die Beru­fung des Klä­gers hat das OLG Koblenz den Kla­ge­an­spruch mit Grund- und Teil­ur­teil dem Grun­de nach für gerecht­fer­tigt erklärt, ins­be­son­de­re, weil es an einer Auf­klä­rung dar­über fehl­te, dass die Steu­er­pflicht nur hät­te ver­mie­den wer­den kön­nen, wenn die Dar­le­hen bin­nen 30 Tagen ver­wen­det wor­den wären. Die teil­wei­se Abwen­dung des Steu­er­scha­dens durch den Erwerb der Anla­gen erach­te­te das OLG im Hin­blick auf die Oblie­gen­heit des Klä­gers zur Scha­dens­ver­mei­dung und ‑abwen­dung für not­wen­dig und kürz­te den Anspruch des Klä­gers über­dies nach § 254 Abs. 1 BGB um ein Drit­tel. Er hät­te ange­sichts der nur knap­pen Bera­tung der Beklag­ten in Erwä­gung zie­hen müs­sen, dass deren Aus­künf­te unvoll­stän­dig sein könn­ten und sich fra­gen müs­sen, wann eine Inves­ti­ti­on als „unmit­tel­bar“ und „zeit­nah“ anzu­se­hen sei.

Das Urteil des BGH

Eine Pflicht­ver­let­zung der Beklag­ten hat auch der BGH ange­nom­men. Hin­sicht­lich des Mit­ver­schul­dens nach § 254 Abs. 1 BGB bezie­hungs­wei­se einer Scha­den­min­de­rungs­pflicht des Geschä­dig­ten nach § 254 Abs. 2 BGB kam es jedoch zu einem ande­ren Ergeb­nis als noch das OLG.

Mit­ver­schul­den

Bei einem Bera­tungs­ver­trag kann dem zu Bera­ten­den bekannt­lich regel­mä­ßig nicht als mit­wir­ken­des Ver­schul­den vor­ge­hal­ten wer­den, dass er das, wor­über sein Bera­ter ihn hät­te auf­klä­ren oder unter­rich­ten sol­len auch ohne frem­de Hil­fe hät­te erken­nen kön­nen. Selbst wenn ein Man­dant über steu­er­recht­li­che Kennt­nis­se ver­fügt, muss er nach Recht­spre­chung des BGH dar­auf ver­trau­en kön­nen, dass der beauf­trag­te Bera­ter die anste­hen­den steu­er­recht­li­chen Fra­gen feh­ler­frei bear­bei­tet, ohne dass eine Kon­trol­le not­wen­dig ist. Nur unter beson­de­ren Umstän­den kann aus­nahms­wei­se auch im Rah­men eines Bera­tungs­feh­lers ein Mit­ver­schul­den des Man­dan­ten in Erwä­gung zu zie­hen sein, etwa wenn War­nun­gen oder Umstän­de, die gegen die Rich­tig­keit des vom Bera­ter ein­ge­nom­me­nen Stand­punk­tes spra­chen, nicht genü­gend beach­tet wer­den. Dies hat der BGH auch für den vor­lie­gen­den Fall noch ein­mal klar­ge­stellt. Anders als das Beru­fungs­ge­richt sah der BGH hier jedoch kei­nen Raum für die Annah­me eines Aus­nah­me­tat­be­stan­des:

„Auf die Kür­ze der Bera­tung kann nicht abge­stellt wer­den. Da der Man­dant sich auf ihren Inhalt ver­las­sen darf, braucht er nicht in Erwä­gung zu zie­hen, die knap­pe Bera­tung kön­ne unvoll­stän­dig sein.“

Dem Klä­ger zuge­lei­te­te schrift­li­che Hin­wei­se sei­en in gro­ßen Tei­len nur schwer ver­ständ­lich gewe­sen. Vor­kennt­nis­se des Klä­gers oder sons­ti­ge Umstän­de, auf­grund derer der Klä­ger die die Aus­kunft der Beklag­ten als ein­deu­tig feh­ler­haft hät­ten erken­nen kön­nen, sei­en nicht fest­ge­stellt wor­den.

Maß­geb­li­che Ver­mö­gens­la­ge

Das OLG hat­te bei Fest­stel­lung der tat­säch­li­chen Ver­mö­gens­la­ge auf die­je­ni­ge abge­stellt, die nach Erwerb der Wind­kraft­an­la­gen bestand. Der Klä­ger hät­te sich den Erwerb der Anla­gen im Rah­men der ihm oblie­gen­den Scha­den­min­de­rungs­pflicht zurech­nen las­sen müs­sen. Die­se Annah­me bewer­te­te der BGH als nicht mit den zu § 243 Abs. 2 BGB ent­wi­ckel­ten Rechts­grund­sät­zen ver­ein­bar.

Im Rah­men der Dif­fe­renz­me­tho­de müs­se die tat­säch­li­che Ver­mö­gens­la­ge der­je­ni­gen gegen­über­ge­stellt wer­den, die sich ohne den Feh­ler des recht­li­chen Bera­ters erge­ben hät­te. Dabei sei ein Gesamt­ver­mö­gens­aus­gleich anzu­stel­len, der alle von dem haf­tungs­be­grün­den­den Ereig­nis betrof­fe­nen, finan­zi­el­len Posi­tio­nen umfas­se. Der Erwerb der Wind­kraft­an­la­gen sei dabei aller­dings nicht ein­zu­be­zie­hen. Denn § 254 Abs. 2 BGB als Anwen­dungs­fall des Grund­sat­zes von Treu und Glau­ben kom­me nicht zur Anwen­dung bei Maß­nah­men, die dem Geschä­dig­ten zur Scha­dens­min­de­rung nicht zuge­mu­tet wer­den könn­ten. Über­pflicht­mä­ßi­ge Anstren­gun­gen soll­ten den Schä­di­ger nicht ent­las­ten und weder in die Scha­dens­be­rech­nung ein­ge­stellt wer­den, noch bräuch­te sich der Geschä­dig­te die­se im Wege der Vor­teils­an­rech­nung anrech­nen las­sen. Eine sol­che „über­ob­li­ga­ti­ons­mä­ßi­ge Anstren­gung“ hat der BGH hier ange­nom­men. Der Klä­ger hät­te in Anse­hung sei­ner Ver­mö­gens­la­ge eine nur durch einen Bank­kre­dit zu rea­li­sie­ren­den „weit über­durch­schnitt­li­chen Inves­ti­ti­on“ vor­ge­nom­men – der Finan­zie­rungs­be­darf lag bei 3.860.000 DM – die sich ganz erheb­lich von dem Steu­er­mehr­auf­wand abge­ho­ben hät­te. Auch sei gar nicht klar, ob sich die risi­ko­rei­che Inves­ti­ti­on ins­ge­samt als wirt­schaft­lich erwei­sen wür­de, Dies lie­ße sich erst am Ende der auf zwan­zig Jah­re ange­leg­ten Lauf­zeit beur­tei­len.

„Der durch eine steu­er­li­che Fehl­be­ra­tung geschä­dig­te Man­dant ist nicht gehal­ten, den ent­stan­de­nen Steu­er­scha­den durch ein teu­res, mit neu­en Risi­ken aus­ge­stat­te­tes Kom­pen­sa­ti­ons­ge­schäft aus­zu­glei­chen.“

Das Argu­ment der Revi­si­on, es sei für einen Geschä­dig­ten unzu­mut­bar, mit einem Schä­di­ger über Jahr­zehn­te in einer unge­woll­ten Scha­dens­ge­mein­schaft ver­bun­den zu sein, sei unter dem Gesichts­punkt von Treu und Glau­ben von erheb­li­cher Bedeu­tung. Das Beru­fungs­ge­richt hät­te die Inves­ti­ti­on zu Unrecht als ver­nünf­ti­ge und zumut­ba­re Maß­nah­me zur Abwen­dung einer dro­hen­den Inves­ti­ti­on ange­se­hen. Es sei dem Geschä­dig­ten gera­de nicht zuzu­mu­ten, ein teu­res und zudem hoch spe­ku­la­ti­ves, mit neu­en Risi­ken aus­ge­stat­te­tes Kom­pen­sa­ti­ons­ge­schäft ein­zu­ge­hen, um der vagen Aus­sicht wil­len auf eine sol­che Art und Wei­se den von ande­rer Sei­te ver­ant­wor­te­ten Steu­er­scha­den zu neu­tra­li­sie­ren. Da der vom Beru­fungs­ge­richt vor­ge­nom­me­ne Gesamt­ver­mö­gens­aus­gleich somit kei­nen Bestand haben konn­te, die Scha­denser­mitt­lung viel­mehr unab­hän­gig von der durch den Klä­ger getä­tig­ten Inves­ti­ti­on vor­zu­neh­men war, wur­de die Sache an das Beru­fungs­ge­richt zurück­ver­wie­sen.

Ass. jur. Rudolf Bau­er, LL.M. Ver­si­che­rungs­recht