Kom­men meh­re­re Pflicht­ver­let­zun­gen in Betracht, ist in der Ver­mö­gens­scha­den-Haft­pflicht­ver­si­che­rung auf den ers­ten Ver­stoß abzu­stel­len, der in gera­der Linie zum Scha­den geführt hat (u.a. OLG Nürn­berg VersR 94, 1462). Dar­an ändert sich grund­sätz­lich auch dann nichts, wenn der ers­te Feh­ler spä­ter noch hät­te beho­ben wer­den kön­nen.

 

I.  Haf­tungs­ebe­ne

Anfang des Jah­res 2018 über­nahm Ver­si­che­rungs­mak­ler M die Betreu­ung des Pri­vat­kun­den P in allen Ver­si­che­rungs­an­ge­le­gen­hei­ten. Bei einem per­sön­li­chen Bera­tungs­ge­spräch ver­stän­dig­te man sich auf die Umde­ckung eini­ger bereits bestehen­der Ver­trä­ge (u.a. Kfz- und Pri­vat­haft­pflicht- und Wohn­ge­bäu­de­ver­si­che­rung) sowie den Neu­ab­schluss zu bis­her nicht ver­si­cher­ten Risi­ken (u.a. Haus­rat- und Unfall­ver­si­che­rung). M sicher­te zu, sich um die Kün­di­gung der Vor­ver­trä­ge zu küm­mern und nahm diver­se Neu­an­trä­ge, dar­un­ter auch den zu einer über die B‑Versicherung abzu­schlie­ßen­den Unfall­ver­si­che­rung, auf. Als er die Anträ­ge am Fol­ge­tag per E‑Mail an die jewei­li­gen Ver­si­che­rungs­ge­sell­schaf­ten wei­ter­lei­te­te, pas­sier­te ihm jedoch ein fol­gen­schwe­res Miss­ge­schick: Anstel­le des aus­ge­füll­ten und unter­schrie­be­nen Antrags ver­sen­de­te M ver­se­hent­lich nur einen Blan­ko­an­trag an die B‑Versicherung. Alle ande­ren Anträ­ge wur­den dage­gen ord­nungs­ge­mäß bear­bei­tet und poli­ciert. Das Feh­len der Unfall­ver­si­che­rung fiel erst auf, als P eini­ge Wochen spä­ter mit dem Fahr­rad ver­un­glück­te und eine kom­pli­zier­te Unter­schen­kel­frak­tur erlitt, die, wie sich im wei­te­ren Ver­lauf her­aus­stell­te, eine dau­ern­de Beein­träch­ti­gung der kör­per­li­chen Leis­tungs­fä­hig­keit befürch­ten ließ. P kün­dig­te Ver­si­che­rungs­mak­ler M an, ihn haft­bar zu machen. M, dem sein Ver­se­hen sehr unan­ge­nehm war, mel­de­te den Fall unver­züg­lich sei­ner Ver­mö­gens­scha­den-Haft­pflicht­ver­si­che­rung.

II.  Deckungs­ebe­ne

Der Ver­mö­gens­scha­den-Haft­pflicht­ver­si­che­rer erbat zunächst wei­te­re Infor­ma­tio­nen zur Pflicht­ver­let­zung, ins­be­son­de­re zur grund­sätz­li­chen Arbeits­wei­se der Ver­si­che­rungs­neh­me­rin, aber auch zur scha­den­ur­säch­li­chen Pflicht­ver­let­zung in die­sem ganz kon­kre­ten Fall. Dem kam M auch nach. Er schil­der­te den maß­geb­li­chen Ver­stoß dahin­ge­hend, dass er am Tag der (ver­meint­li­chen) Antrag­stel­lung sehr viel zu tun gehabt hät­te und wäh­rend der Antrags­wei­ter­ga­be ver­mut­lich durch ein­ge­hen­de Tele­fo­na­te abge­lenkt wor­den sei. Er müs­se dann irr­tüm­lich im fal­schen Ord­ner gelan­det sein und das fal­sche PDF-Doku­ment an die E‑Mail an den Ver­si­che­rer ange­hängt haben. Der Ver­mö­gens­scha­den-Haft­pflicht­ver­si­che­rer mel­de­te dar­auf­hin deckungs­recht­li­che Beden­ken wegen einer ver­meint­li­chen wis­sent­li­chen Pflicht­ver­let­zung an, weil die Ver­si­che­rungs­neh­me­rin sich kei­ne Wie­der­vor­la­ge gesetzt hat­te, um nöti­gen­falls an die aus­ste­hen­de Rück­mel­dung der B‑Versicherung zu erin­nern. Die­ses Unter­las­sen sei als Kar­di­nals­pflicht­ver­let­zung anzu­se­hen. Im Erle­di­gungs­in­ter­es­se sei man den­noch – ent­ge­gen­kom­mend – bereit, sich an einer Abfin­dung zu betei­li­gen, sofern die­se den Betrag von 4.500 EUR nicht über­stei­ge.

Die­se „Lösung“ trug natür­lich vor allen Din­gen den Inter­es­sen des Ver­mö­gens­scha­den-Haft­pflicht­ver­si­che­rers Rech­nung, der wohl hoff­te, einen eigent­lich wohl deut­lich höher anzu­set­zen­den Scha­den schnell und güns­tig been­den zu kön­nen. Für den Anspruch­stel­ler war die­ses Ange­bot – wenig über­ra­schend – kei­ne Opti­on und so fand sich der Ver­si­che­rungs­mak­ler zwi­schen allen Stüh­len wie­der: Einer­seits sah er sich wei­ter den Vor­wür­fen sei­nes Kun­den aus­ge­setzt, dem er sich recht­lich und mora­lisch ver­pflich­tet fühl­te, ande­rer­seits wur­de ihm von sei­nem Ver­mö­gens­scha­den-Haft­pflicht­ver­si­che­rer unver­hoh­len ange­droht, dass er mög­li­cher­wei­se kei­ne Ver­si­che­rungs­leis­tun­gen erhal­ten wür­de.

Doch war die­se Sor­ge begrün­det? Bei Vor­lie­gen einer Pflicht­ver­let­zung durch akti­ves Tun eine fik­ti­ve Pflicht­ver­let­zung durch Unter­las­sen hin­zu­zu­den­ken, erscheint schon des­halb höchst frag­wür­dig, weil dann bei nahe­zu allen Ver­stö­ßen eines Ver­si­che­rungs­neh­mers dahin­ge­hend argu­men­tiert wer­den könn­te, dass eine spä­te­re Kon­trol­le des eige­nen Tuns den Scha­den ver­hin­dert hät­te. Der Ver­si­che­rungs­schutz wür­de unzu­läs­sig aus­ge­höhlt. Außer­dem ist in Recht­spre­chung und Lite­ra­tur aner­kannt, dass eine Pflicht­ver­let­zung durch Unter­las­sen tat­säch­lich über­haupt nur dann in Betracht kommt, wenn es kei­ner­lei akti­ves Han­deln gab, da die­ses ansons­ten einen Ver­stoß durch Unter­las­sen aus­schließt. Über­dies ist stets auf den ers­ten Ver­stoß abzu­stel­len, der in gera­der Linie zum Scha­den führt. Der ers­te Ver­stoß war hier frag­los die Ver­sen­dung einer E‑Mail mit einem fal­schen Anhang, die der Ver­si­che­rungs­mak­ler auch bele­gen konn­te.

III. Ergeb­nis

Auf die wohl tat­säch­lich geschul­de­te Kon­trol­le, ob ein wirk­sa­mer Unfall­ver­si­che­rungs­ver­trag zustan­de gekom­men war, kam es damit nicht mehr an. Letzt­lich konn­ten wir so errei­chen, dass der Ver­mö­gens­scha­den-Haft­pflicht­ver­si­che­rer den Ein­wand einer Kar­di­nals­pflicht­ver­let­zung zurück­zog und einer Begut­ach­tung des P zur Ermitt­lung des kon­kre­ten Inva­li­di­täts­gra­des zustimm­te.