„Der treu­hän­de­ri­sche Rechts­an­walt“
(BGH IV ZR 43/19; OLG Mün­chen 25 U 623/18; LG Mün­chen I 12 O 3989/17)

 

Sach­ver­halt

Rechts­an­walt R war seit 2009 Treu­hän­der für deut­sche Kun­den einer in der Schweiz ansäs­si­gen AG tätig. Zu die­sen Kun­den zähl­te auch die Anle­ge­rin A. Die AG befass­te sich mit dem Ankauf von Lebens­ver­si­che­run­gen. Dabei ver­sprach es sei­nen Kun­den im Gegen­zug für die Abtre­tung der Ansprü­che und Rech­te aus der Lebens­ver­si­che­rung ent­we­der die ver­zö­ger­te Zah­lung des Mehr­fa­chen des übli­chen Kauf­prei­ses oder die Zah­lung des dop­pel­ten Rück­kaufs­wer­tes nach sechs Jah­ren. Rechts­an­walt R wur­de bewusst von der AG auf­grund sei­ner ver­si­che­rungs­recht­li­chen Kennt­nis­se aus­ge­wählt, um ord­nungs­ge­mä­ße Kün­di­gun­gen der Lebens­ver­si­che­rungs­ver­trä­ge und zutref­fen­de Berech­nun­gen der Rück­kaufs­wer­te sicher­zu­stel­len.

Rechts­an­walt R kün­dig­te auf Basis eines „Geschäfts­be­sor­gungs­ver­tra­ges“ zwi­schen A und R den Lebens­ver­si­che­rungs­ver­trag der Anle­ge­rin und bot der AG sodann namens und im Auf­trag der A den Abschluss eines Kauf­ver­tra­ges über das Ver­si­che­rungs­gut­ha­ben an. Die AG nahm das Ange­bot an. Der Rück­kaufs­wert war mit 53.334,76 € ange­ge­ben. Danach erstell­te der R der A eine Abrech­nung und teil­te mit, dass er den Rück­kaufs­wert ver­ein­ba­rungs­ge­mäß an die AG aus­ge­kehrt habe. Die AG ver­sprach der A die Aus­zah­lung von 106.669,52 € nach 72 Mona­ten.

Im August 2012 unter­sag­te die Schwei­zer Ban­ken­auf­sicht der AG den Ver­trieb ihrer Pro­duk­te wegen Ver­sto­ßes gegen das Schwei­zer Ban­ken­ge­setz, lös­te die AG auf und lei­te­te ein Liqui­da­ti­ons­ver­fah­ren ein. Im Febru­ar 2013 wur­de der Kon­kurs über das Ver­mö­gen der AG eröff­net, von der die A bis­lang kei­ne Zah­lun­gen erhielt. A ver­klag­te R dar­auf­hin auf Scha­dens­er­satz. Die­ser Rechts­streit wur­de durch einen Ver­gleich been­det, nach wel­chem R sei­ne Frei­stel­lungs- und Zah­lungs­an­sprü­che gegen den Ver­mö­gens­scha­den-Haft­pflicht­ver­si­che­rer an A abtrat.

Tätig­keit als Rechts­an­walt

Ob A erfolg­reich Ansprü­che aus abge­tre­te­nem Recht gegen den Ver­mö­gens­scha­den-Haft­pflicht­ver­si­che­rer gel­tend machen kann, hängt maß­geb­lich davon ab, ob es sich bei der vor­lie­gen­den Tätig­keit des R um eine ver­si­cher­te Tätig­keit han­del­te. Hier­über bestand Streit zwi­schen A und dem Ver­mö­gens­scha­den-Haft­pflicht­ver­si­che­rer.

Nach den All­ge­mei­nen Ver­si­che­rungs­be­din­gun­gen zur Ver­mö­gens­scha­den-Haft­pflicht­ver­si­che­rung des R gewährt der Ver­si­che­rer

dem Ver­si­che­rungs­neh­mer Ver­si­che­rungs­schutz (Deckung) für den Fall, dass er wegen eines bei der Aus­übung beruf­li­cher Tätig­keit […] began­ge­nen Ver­sto­ßes von einem ande­ren auf­grund gesetz­li­cher Haft­pflicht­be­stim­mun­gen pri­vat­recht­li­chen Inhalts für einen Ver­mö­gens­scha­den ver­ant­wort­lich gemacht wird.“

In der Risi­ko­be­schrei­bung für die Ver­mö­gens­scha­den-Haft­pflicht­ver­si­che­rung von Rechts­an­wäl­ten (ein­schließ­lich des Rechts­an­walts­ri­si­kos von Anwalts­no­ta­ren) wur­de die beruf­li­che Tätig­keit kon­kre­ti­siert.

„Im Rah­men der dem Ver­trag zugrun­de­lie­gen­den All­ge­mei­nen Ver­si­che­rungs­be­din­gun­gen für die Ver­mö­gens­scha­den-Haft­pflicht­ver­si­che­rung von Rechts­an­wäl­ten und Patent­an­wäl­ten ist ver­si­chert die gesetz­li­che Haft­pflicht des Ver­si­che­rungs­neh­mers aus der gegen­über sei­nem Auf­trag­ge­ber frei­be­ruf­lich aus­ge­üb­ten Tätig­keit als Rechts­an­walt. […]“

Die Abgren­zung zwi­schen ver­si­cher­ten anwalt­li­chen Tätig­kei­ten und nicht ver­si­cher­ten sons­ti­gen Tätig­kei­ten macht außer­or­dent­li­che Schwie­rig­kei­ten, da das Berufs­bild des Anwalts nicht defi­niert ist. Das Berufs­bild bil­det die Gren­ze des Deckungs­um­fangs der Ver­mö­gens­scha­den-Haft­pflicht­ver­si­che­rung. Die Ver­si­che­rungs­be­din­gun­gen set­zen dabei den Begriff „anwalt­li­che Tätig­keit“ vor­aus, die Risi­ko­be­schrei­bung der Beson­de­ren Bedin­gun­gen ver­wen­det die For­mu­lie­rung „Tätig­keit als Rechts­an­walt“. Aber was zeich­net den Rechts­an­walt aus? Nach § 3 Abs. 1 Bun­des­rechts­an­walts­ord­nung (BRAO) ist der Rechts­an­walt „Bera­ter und Ver­tre­ter in allen Rechts­an­ge­le­gen­hei­ten“. Dabei han­delt es sich um „klas­si­sche“ anwalt­li­che Tätig­kei­ten. Um eine sol­che han­del­te es sich vor­lie­gend jedoch nicht.

Ob in der anwalt­li­chen Berufs­haft­pflicht­ver­si­che­rung eine ver­si­cher­te beruf­li­che Tätig­keit im Sin­ne der AVB in Ver­bin­dung mit der Risi­ko­be­schrei­bung vor­liegt, kann nur im Ein­zel­fall unter Berück­sich­ti­gung einer­seits der im Ver­si­che­rungs­ver­trag getrof­fe­nen Ver­ein­ba­run­gen und ande­rer­seits der kon­kret vom Rechts­an­walt über­nom­me­nen Auf­ga­ben beur­teilt wer­den. Die­se Fra­ge stellt sich immer dann, wenn der Auf­trag sowohl „berufs­ty­pi­sche“ als auch „berufs­un­ty­pi­sche“ Tätig­kei­ten des Anwalts ent­hält. Denk­bar wäre dar­auf abzu­stel­len, wel­ches Risi­ko sich ver­wirk­licht hat. Die Münch­ner Rich­ter ten­dier­ten jedoch dazu, die gesam­te Tätig­keit des Anwalts in den Blick zu neh­men und als Gan­zes zu bewer­ten. Danach ist für die Fra­ge, ob eine anwalt­li­che Tätig­keit vor­liegt, der Schwer­punkt des anwalt­li­chen Auf­trags ent­schei­dend. Das OLG Mün­chen ver­nein­te vor­lie­gend Ver­si­che­rungs­schutz für bei­de Kon­stel­la­tio­nen.

Eine Rechts­an­ge­le­gen­heit lag vor­lie­gend nicht vor. Im kon­kre­ten Fall lag der Schwer­punkt des Geschäfts­be­sor­gungs­ver­tra­ges zwi­schen A und R in der wirt­schaft­li­chen Durch­füh­rung, ins­be­son­de­re in der Abwick­lung der Lebens­ver­si­che­rung, der treu­hän­de­ri­schen Ent­ge­gen­nah­me des Gel­des und der Wie­der­an­la­ge bei der AG. Eine Rechts­be­ra­tung war dabei nicht ver­ein­bart. Auch die Prü­fung des anhand des kon­kret ver­wirk­lich­ten Risi­kos hat kei­ne spe­zi­fisch rechts­be­ra­ten­de Tätig­keit erge­ben.

Der BGH hat, die in der Lite­ra­tur dis­ku­tier­te Fra­ge, wie die Abgren­zung zu erfol­gen hat, nicht ent­schie­den. Schon 2015 hat der BGH in sei­nem Hin­weis­be­schluss (IV ZR 484/14) zur glei­chen Bedin­gungs­la­ge deut­lich zum Aus­druck gebracht, dass nur im Ein­zel­fall unter Berück­sich­ti­gung der im Ver­si­che­rungs­ver­trag getrof­fe­nen Ver­ein­ba­run­gen und der kon­kret vom Rechts­an­walt über­nom­me­nen Auf­ga­ben beur­teilt wer­den, ob eine ver­si­cher­te beruf­li­che Tätig­keit im Sin­ne der AVB in Ver­bin­dung mit den Risi­ko­be­schrei­bun­gen und Beson­de­ren Bedin­gun­gen vor­liegt.

Fazit

Für die Pra­xis ver­blei­ben für den Rechts­an­walt wei­ter­hin Unklar­hei­ten über die Reich­wei­te des Ver­si­che­rungs­schut­zes, da der kon­kre­te Ein­zel­fall stets durch Gerich­te geklärt wer­den muss. In Zwei­fels­fäl­len soll­te der Rechts­an­walt vor Über­nah­me des Man­dats mit sei­ner Ver­mö­gens­scha­den-Haft­pflicht­ver­si­che­rung oder dem die­se betreu­en­den Ver­si­che­rungs­mak­ler klä­ren, ob die beab­sich­tig­te Tätig­keit ver­si­chert ist oder gege­be­nen­falls geson­dert ver­si­chert wer­den kann.