Zusam­men­fas­sen­de Dar­stel­lung zum Urteil des BGH vom 16.09.2021 – IX ZR 144/19.

Regress­for­de­run­gen von Rechts­schutz­ver­si­che­rern gegen­über Rechts­an­wäl­ten haben die Gerich­te in der jün­ge­ren Ver­gan­gen­heit häu­fi­ger beschäf­tigt. So auch in dem vor­be­zeich­ne­ten Ver­fah­ren, bei dem ein Kos­ten­scha­den gel­tend gemacht wur­de, der dadurch ent­stan­den sein soll­te, dass der Beklag­te einen ver­meint­lich aus­sichts­lo­sen Rechts­streit für einen Ver­si­che­rungs­neh­mer (VN) der Klä­ge­rin geführt hat­te.

Ⅰ.Ausgangsfall

Der VN der Klä­ge­rin hat­te sich in den Jah­ren 1993 bis 1996 an ins­ge­samt drei Immo­bi­li­en­fonds betei­ligt, die sich nicht wie erhofft ent­wi­ckelt hat­ten. Im Jahr 2011, dem letz­ten Jahr vor Ablauf der Ver­jäh­rungs­höchst­frist für etwa­ige Scha­dens­er­satz­an­sprü­che, wand­te sich der VN an den Beklag­ten und beauf­trag­te ihn mit der Prü­fung von Ersatz­an­sprü­chen gegen die Fonds­in­itia­to­rin sowie die Anla­ge­ver­mitt­le­rin. Nach (erfolg­lo­ser) außer­ge­richt­li­cher Auf­for­de­rung Scha­dens­er­satz zu leis­ten, erteil­te die Klä­ge­rin eine Deckungs­zu­sa­ge für den ers­ten Rechts­zug.

Zur Hem­mung der Ver­jäh­rung bean­trag­te der Beklag­te dann Ende Dezem­ber 2011 einen Mahn­be­scheid und gab dabei rich­ti­ger­wei­se an, die gel­tend gemach­ten Scha­dens­er­satz­an­sprü­che sei­en von einer Gegen­leis­tung abhän­gig. Bewusst wahr­heits­wid­rig gab er aber außer­dem noch an, die Gegen­leis­tung sei erbracht wor­den. Nach­dem Fonds­in­itia­to­rin und Anla­ger­ver­mitt­le­rin Wider­spruch ein­ge­legt hat­ten, mün­de­te der Vor­gang ins strei­ti­ge Ver­fah­ren. Das zustän­di­ge Land­ge­richt wies die Kla­ge mit Urteil vom 30. Mai 2014 wegen Ver­jäh­rung ab. Auf­grund der bewusst wahr­heits­wid­ri­gen Anga­ben im Mahn­be­scheids­an­trag hät­te sich der VN nicht auf die ver­jäh­rungs­hem­men­de Wir­kung der Zustel­lung des Mahn­be­scheids beru­fen kön­nen.

Der Beklag­te riet dem VN in Beru­fung zu gehen und leg­te tat­säch­lich auch Beru­fung ein, nach­dem des­sen Rechts­schutz­ver­si­che­rer hier­für eine Deckungs­zu­sa­ge erteilt hat­te. Das Beru­fungs­ge­richt wies die Beru­fung mit Beschluss vom 3. Juni 2015 zurück. Die auf Rat des Rechts­an­walts betrie­be­ne Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de, für die die Klä­ge­rin wie­der­um Deckung gewährt hat­te, wur­de zwar frist­wah­rend ein­ge­legt, aber wie­der zurück­ge­nom­men.

Ⅱ.Vorinstanzen

Die Rechts­schutz­ver­si­che­rung klag­te vor dem LG Würz­burg auf Ersatz für die von ihr erstat­te­ten Kos­ten. Soweit es die Kos­ten für die vor­ge­richt­li­che Tätig­keit, das Mahn­ver­fah­ren und den ers­ten Rechts­zug des strei­ti­gen Ver­fah­rens betraf, hat­te die Kla­ge Erfolg.

Bei­de Par­tei­en gin­gen in Beru­fung. Hin­sicht­lich der außer­ge­richt­li­chen Anwalts­tä­tig­keit gab das OLG Bam­berg der Beru­fung des Beklag­ten statt und wies die Kla­ge ab. Bezüg­lich der Kos­ten für den zwei­ten und drit­ten Rechts­zug gab es dage­gen der Klä­ge­rin recht und erwei­ter­te die Ver­ur­tei­lung.

Ⅲ.Das Urteil des BGH

Der beklag­te Rechts­an­walt ging in Revi­si­on. Er begehr­te die voll­stän­di­ge Kla­ge­ab­wei­sung.

Der BGH hob das Urteil des OLG, soweit zum Nach­teil des Beklag­ten ent­schie­den wor­den war, auf und ver­wies die Sache an das Beru­fungs­ge­richt zurück.

Dass etwa­ige, unter dem Gesichts­punkt der Rechts­an­walts­haf­tung in Betracht kom­men­de Scha­dens­er­satz­an­sprü­che des VN nach § 86 Abs. 1 VVG auf die kla­gen­de Rechts­schutz­ver­si­che­rung über­ge­gan­gen sei­en, nahm – eben­so wie zuvor das Beru­fungs­ge­richt – auch der BGH an. Anders als das OLG bewer­te­te der BGH jedoch die Fra­ge, ob der Beklag­te zum Ersatz der für das Mahn­ver­fah­ren erstat­te­ten Kos­ten ver­pflich­tet sei. Dies kön­ne den Fest­stel­lun­gen des Beru­fungs­ge­richts nicht ent­nom­men wer­den:

Zunächst sei bei einem Kos­ten­scha­den zu dif­fe­ren­zie­ren ob der Vor­pro­zess bei pflicht­ge­mä­ßem Vor­ge­hen des Anwalts gewon­nen und dem Man­dan­ten folg­lich kei­ne Kos­ten­pflicht auf­er­legt wor­den wäre (Scha­den = Ver­lust der Haupt­sa­che + Kos­ten­scha­den) oder ob der Anwalt den nicht zu gewin­nen­den Vor­pro­zess gar nicht erst hät­te ein­lei­ten oder Fort­füh­ren dür­fen. Dem Urteil des Beru­fungs­ge­richts las­se sich nicht mit Gewiss­heit ent­neh­men, von wel­cher der bei­den Vari­an­ten die Vor­in­stanz aus­ge­gan­gen sei. Es hät­te kei­ne Fest­stel­lun­gen dazu getrof­fen, ob der Vor­pro­zess ohne die Pflicht­ver­let­zung – die bewusst wahr­heits­wid­ri­ge Anga­be im Mahn­be­scheids­an­trag – gewon­nen wor­den wäre. Das OLG hät­te dies fälsch­li­cher­wei­se für ent­behr­lich gehal­ten, weil es davon aus­ging, es hand­le sich bei dem Aus­gang des Vor­pro­zes­ses um einen Anwen­dungs­fall des recht­mä­ßi­gen Alter­na­tiv­ver­hal­tens, bei dem der Beklag­te dar­le­gungs- und beweis­be­las­tet gewe­sen wäre und weil es an ent­spre­chen­dem Vor­trag des Beklag­ten gefehlt hät­te. Eine Unter­bre­chung des Zurech­nungs­zu­sam­men­hangs durch ein recht­mä­ßi­ges Alter­na­tiv­ver­hal­ten, so der BGH, kom­me tat­säch­lich aber erst in Betracht, wenn fest­stün­de, dass der Scha­den auf einer Pflicht­ver­let­zung des Rechts­be­ra­ters beru­he. Wer­de im Regress­pro­zess gel­tend gemacht, der anwalt­li­che Feh­ler habe zum Ver­lust des Vor­pro­zes­ses geführt, gehö­re des­sen gedach­ter Aus­gang zum hypo­the­ti­schen Kau­sal­ver­lauf, der vom Geschä­dig­ten dar­zu­le­gen und nöti­gen­falls zu bewei­sen wäre. Der Regress­rich­ter hät­te dabei selbst dar­über befin­den müs­sen, wel­che Ent­schei­dung im Vor­pro­zess rich­ti­ger­wei­se hät­te erge­hen müs­sen. Zudem hät­te es das OLG ver­säumt, fest­zu­stel­len, dass und war­um der Vor­pro­zess schon im Zeit­punkt der Ein­lei­tung des Mahn­ver­fah­rens nicht gewinn­bar gewe­sen wäre und des­halb nicht hät­te ein­ge­lei­tet wer­den dür­fen.[1]

Auch die Annah­me, der Beklag­te sei zum Ersatz der für das strei­ti­ge Ver­fah­ren im ers­ten bis drit­ten Rechts­zug erstat­te­ten Kos­ten ver­pflich­tet, sah der BGH nicht von den Fest­stel­lun­gen des OLG gedeckt. Die Ver­jäh­rungs­höchst­frist sei noch vor Über­lei­tung in das strei­ti­ge Ver­fah­ren abge­lau­fen und eine Hem­mung nicht mehr mög­lich gewe­sen. Objek­tiv hät­te es sich des­halb um einen nicht (mehr) gewinn­ba­ren Vor­pro­zess gehan­delt. Das OLG hät­te aber kei­ne Fest­stel­lun­gen zur not­wen­di­gen haf­tungs­aus­fül­len­den Kau­sa­li­tät getrof­fen. Indem es das hypo­the­ti­sche Ver­hal­ten des Anwalts als Fall des recht­mä­ßi­gen Alter­na­tiv­ver­hal­tens behan­delt hät­te, hät­te es sich den Blick auf die rich­ti­ge Ver­tei­lung der Dar­le­gungs- und Beweis­last ver­sperrt und not­wen­di­ge Fest­stel­lun­gen nicht getrof­fen.

Abschlie­ßend wies der BGH dar­auf hin, dass hin­sicht­lich der Kos­ten des strei­ti­gen Ver­fah­rens die Annah­me nahe­lie­ge, dass der Beklag­te Bera­tungs­pflich­ten ver­letzt hät­te. Hin­sicht­lich der Deckungs­zu­sa­ge der Klä­ge­rin für alle drei Rechts­zü­ge ver­wies der BGH auf sein Urteil vom glei­chen Tag in Sachen IX ZR 165/19, das wir im Okto­ber 2021 dar­ge­stellt hat­ten. Danach grei­fe der Anscheins­be­weis für ein bera­tungs­ge­rech­tes Ver­hal­ten des Man­dan­ten nicht ein, wenn des­sen Kos­ten­ri­si­ko durch eine bestands­kräf­ti­ge Deckungs­zu­sa­ge her­ab­ge­min­dert und die Rechts­ver­fol­gung nicht objek­tiv aus­sichts­los sei.

Ass. jur. Rudolf Bau­er,

LL.M. Ver­si­che­rungs­recht

[1] Die Ver­jäh­rungs­höchst­frist aus § 199 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BGB iVm Art. 229 § 6 Abs. 4 S. 1 EGBGB war noch nicht abge­lau­fen, aber es galt das Urteil des BGH vom 21.12.2011 (Az.: VIII ZR 157/11) zum Zug um Zug abzu­wi­ckeln­den Möbel­kauf zu beach­ten.