Zusammenfassende Darstellung zum Urteil des OLG Düsseldorf vom 16.11.2021 – 4 U 252/20.
In der vorbezeichneten Angelegenheit hatte das OLG im Rahmen eines vorweggenommenen Deckungsprozesses darüber zu entscheiden, ob dem klagenden Rechtsanwalt durch seinen vormaligen Vermögensschaden-Haftpflichtversicherer Versicherungsschutz gewährt werden musste.
I. Ausgangsfall
Der Kläger war vor dem LG Düsseldorf mit Klageschrift vom 15. März 2016 wegen angeblicher anwaltlicher Pflichtverletzungen – laut Vortrag seiner ehemaligen Mandantin hatte er in mehreren Fällen entgegen deren Willen Berufung eingelegt – in Anspruch genommen und am 6. Oktober 2020 auch zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 9.564,21 EUR verurteilt worden. Der Kläger legte hiergegen Berufung ein.
Bereits im Mai 2018 hatte der Kläger seiner vormaligen Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung die Vorgänge angezeigt und um Versicherungs- und Deckungsschutz ersucht. Er behauptete, nicht gegen Weisungen seiner Mandantin verstoßen zu haben. Er sei nicht ausdrücklich angewiesen worden, Berufung nur dann einzulegen, wenn die Rechtsschutzversicherung der Mandantin Deckungszusagen erteile. Das Handeln seiner Mandantin ließe vielmehr den Schluss zu, dass in jedem Fall Berufung hätte eingelegt werden sollen.
Die beklagte Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung lehnte Versicherungsleistungen ab und berief sich auf die Einrede der Verjährung. Im folgenden Deckungsprozess berief man sich außerdem auf den Ausschlussgrund einer wissentlichen Pflichtverletzung.
Die Klage des Rechtsanwalts wurde mit Versäumnisurteil vom 10. Dezember 2019 abgewiesen. Nach Einspruch des Klägers hat das Landgericht mit Urteil vom 26. Mai 2020 das Versäumnisurteil aufrechterhalten. Ein Befreiungsanspruch bestünde zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht. Da eine Bindung an die rechtskräftige Entscheidung im Haftpflichtprozess nicht denkbar sei, wenn der Deckungsprozess als erstes entschieden werde, sei im Deckungsprozess grundsätzlich auf die Behauptungen des Dritten abzustellen. Hierauf hatte das Landgericht auch bereits vor dem Versäumnisurteil per Beschluss hingewiesen. Die Vorwürfe der ehemaligen Mandantin des Klägers aber würden den Ausschlusstatbestand der wissentlichen Pflichtverletzung erfüllen. Sie hätte den Rechtsanwalt ausdrücklich angewiesen, Berufungsverfahren nur durchzuführen, wenn die Rechtsschutzversicherung Deckungszusage erteile. Dennoch hätte der Kläger in mehreren Fällen Berufung eingelegt. Aufgrund des Anwaltsvertrages wäre der Kläger aber verpflichtet gewesen, die Weisungen seiner Mandantin zu beachten. Dass er dennoch Berufung eingelegt habe, impliziere, dass er die Verstöße wissentlich begangen hätte.
Gegen dieses Urteil legte der klagende Rechtsanwalt seinerseits Berufung ein. Die Beklagte sei eintrittspflichtig. Er hätte den Versicherungsfall nicht vorsätzlich herbeigeführt. Die Beklagte hätte bei Beurteilung ihrer Eintrittspflicht ihr Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt. Seine Ansprüche auf Deckungsschutz seien auch nicht verjährt. Zudem sei das LG fälschlicherweise davon ausgegangen, dass es alleinig auf jedwede Behauptungen des geschädigten Dritten im Haftpflichtprozess ankomme. Aus dem dortigen Verfahren hätte sich ergeben, dass die Geschädigte in jedem Fall die Berufung hätte durchführen wollen und auch durchgeführt hätte. Widersprüchlicher Vortrag aber sei unbeachtlich. Zudem müsse ein Rechtsanwalt Weisungen nicht befolgen, wenn aufgrund der Weisungen ein erheblicher Schaden entstehen könne, so etwa, wenn die Berufungsfrist abliefe, bevor eine Deckungsentscheidung (durch den Rechtsschutzversicherer) getroffen worden wäre. Das Landgericht hätte die Akte des Haftpflichtprozesses beiziehen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung machen müssen. Er sei nicht darauf hingewiesen worden, zum Inhalt und Ablauf des Haftungsverfahrens weiter ausführen zu müssen; er sei daher in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden. Das Verfahren hätte wegen des noch laufenden Haftpflichtprozesses ausgesetzt werden müssen.
Die Beklagte verteidigte das erstinstanzliche Urteil, insbesondere auch die Annahme einer wissentlichen Pflichtverletzung. Der Kläger hätte elementare berufliche Pflichten und geläufiges Primitivwissen eines Rechtsanwalts verletzt.
II. Das Urteil des OLG
Das OLG wies die Berufung als unbegründet zurück. Der Kläger hätte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf Versicherungsschutz. Es bestätigte die Annahme des LG, wonach im vorweggenommenen Deckungsprozess, in dem es noch keine Bindungswirkung entfaltenden Tatsachenfeststellungen aus einem Haftpflichtprozess gäbe, bei der Frage, ob ein Versicherer Deckungsschutz für eine Inanspruchnahme zu gewähren habe, vom Vortrag des Geschädigten auszugehen sei.
Für eine Aussetzung des Verfahrens sah das OLG ebenfalls keinen Grund. Wenn der klagende VN vorab im Rahmen einer Deckungsklage um Versicherungsschutz ersuche, dann sei dies eben nur unter Zugrundelegung des Vortrags des Geschädigten zu klären. Im Haftpflichtprozess würde dem Kläger zur Last gelegt, gegen insgesamt drei Urteile Berufung eingelegt zu haben, obwohl dies nur bei Deckungszusage durch den Rechtsschutzversicherer hätte geschehen sollen. Ausgehend von diesem Vortrag hätte der Kläger eine wissentliche Pflichtverletzung begangen. Wissentlich handle derjenige Versicherte, der die verletzten Pflichten positiv kenne. Bedingter Vorsatz, bei dem er die in Rede stehende Verpflichtung nur für möglich halte, reiche dafür ebenso wenig aus, wie eine fahrlässige Unkenntnis. Es müsse vielmehr positiv feststehen, dass der Versicherte die Pflichten zutreffend gesehen hätte. Neben der Kenntnis der verletzten Pflicht müsse der VN subjektiv das Bewusstsein gehabt haben, gesetzes‑, vorschrifts- oder sonst pflichtwidrig zu handeln. Diesbezüglich darlegungs- und beweisbelastet sei der Versicherer. Der objektiv feststehende Pflichtverstoß führe weder zu einer Beweislastumkehr noch zu einem Anscheinsbeweis. Eine Ausnahme sei allerdings dann begründet, wenn „mit Händen zu greifen sei“, dass sich der VN bewusst pflichtwidrig verhalten hätte bzw. – nach Rechtsprechung des BGH – wenn es sich um die Verletzung elementarer Pflichten handle, deren Kenntnis nach der Lebenserfahrung bei jedem Berufsangehörigen vorausgesetzt werden könne. Dies sei bei der Verpflichtung eines Rechtsanwalts, Weisungen der Mandantschaft zur Berufungseinlegung zu beachten, der Fall, und zwar auch dann, wenn dadurch eine ursprünglich umfänglich erteilte Vollmacht eingeschränkt würde. Denn nach der Lebenserfahrung sei jedem Rechtsanwalt bewusst, dass er sich als Dienstleister an die Weisungen seines Auftraggebers zu halten habe. Auch sei ihm bewusst, dass die Kostenfrage, insbesondere die Frage, ob der Mandant die Gebührenansprüche des Rechtsanwalts bzw. Gerichtskosten aus eigenem Vermögen zu begleichen hätte oder ob sie aus dem Deckungsschutzanspruch gegenüber der Rechtsschutzversicherung befriedigt werden könnten, für jeden rechtsschutzversicherten Mandanten regelmäßig von großem Interesse sei, und dass Rechtsmittel vor der Kostenzusage des Rechtsschutzversicherers daher nur dann eingelegt werden dürften, wenn der Mandant ihn damit ausdrücklich und vor allem in der Kenntnis beauftragt hätte, dass er damit Gefahr laufe, die Kosten des Rechtsstreits selber tragen zu müssen. Dem Kläger sei dies auch positiv bewusst gewesen, hatte er doch bereits 2013 per E‑Mail bei seiner ehemaligen Mandantin angesichts einer Ablehnung des Rechtsschutzversicherers angefragt, ob die Berufung auf eigene Kosten durchgeführt werden solle.
Dass dem Kläger neben der wissentlichen Pflichtverletzung möglicherweise auch noch andere nicht wissentliche Verstöße gegen berufliche Pflichten zum Vorwurf gemacht werden könnten, erachtete das OLG für irrelevant. Dass der Versicherer dann trotzdem leisten wolle, lasse sich den Bedingungen nicht entnehmen. Zudem würden anderenfalls auch diejenigen VN privilegiert, die einen Schaden mittels mehrerer, teils wissentlicher, teilweise unbewusster Pflichtverstöße herbeiführten. Jemanden wegen einer solchen gesteigerten Sorglosigkeit gegenüber demjenigen besser zu stellen, der sich lediglich eine wissentliche Pflichtverletzung zuschulden kommen lasse, wäre erkennbar sinnwidrig.
Abschließend stellte das OLG fest, dass, sollte der Kläger im Haftpflichtprozess rechtskräftig wegen anderer Pflichtverletzungen verurteilt werden, müsse die Einstandspflicht der Beklagten neu geprüft werden, auch im Hinblick auf eine etwaige Verjährung. Die klageabweisen Entscheidung stünde dem nicht entgegen.