Die Dokumentationspflicht hat bekanntermaßen die Funktion, dem Versicherungsnehmer mit der Beratungsdokumentation die wesentlichen Inhalte der Beratung vor Augen zu führen und an die Hand zu geben. Die Nichtbeachtung dieser Pflicht kann zu Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr führen.
Ist ein Hinweis von wesentlicher Bedeutung nicht (auch nicht im Ansatz) dokumentiert, trifft den Versicherungsvermittler die Beweislast für die Erteilung des Hinweises. Allerdings führt eine unterlassene oder unzureichende Dokumentation nicht dazu, dass der Versicherungsnehmer jedwede Behauptung aufstellen kann, deren Gegenteil dann der Vermittler beweisen müsste, wie jetzt das OLG Dresden urteilte (Urteil vom 23.04.2024 – 3 U 79/23).1
Sachverhalt
Seit 2017 vermittelte der beklagte Versicherungsmakler der Klägerin und ihrem später verstorbenen Ehemann Versicherungsverträge und verwaltete diese . Im Juli 2020 fand ein Beratungsgespräch statt, in dem auch über eine Risikolebensversicherung gesprochen wurde, die letztlich nicht abgeschlossen wurde. Einzelheiten des – nicht dokumentierten – Gesprächs sind zwischen den Parteien streitig.
Der später verstorbene Ehemann der Klägerin war seinerzeit als Facharzt auf einer „Covid-Station“ tätig und seit mehreren Jahren Hauptverdiener in der Ehe. Die Klägerin widmete sich vorwiegend der Erziehung der beiden 2017 und 2018 geborenen Kinder.
Am Ende des Jahres 2020 verstarb der Ehemann der Klägerin im Alter von 39 Jahren unvermittelt an einem durch Streptokokken induzierten Toxic-Schock-Syndrom. Die Klägerin stellte fest, dass die Unfallversicherung keine Todesfallabsicherung beinhaltete und dass das bislang angesparte Guthaben der Rentenversicherungen nicht ausreichte, um hieraus eine Rente zu bilden.
Sie forderte den Makler zur Zahlung von 500.000 EUR auf. Diese Summe wäre ihr nach eigenen Angaben von einer Risikolebensversicherung ausgezahlt worden. Der Makler habe das von den Eheleuten geschilderte Todesfallrisiko des Ehemanns und das Versorgungsrisiko ohne den Alleinverdiener nicht hinreichend untersucht und daher falsch eingeschätzt. Eine Pflichtverletzung soll darin bestanden haben, dem Ehemann nicht zum Abschluss einer Risikolebensversicherung mit der Klägerin als Bezugsberechtigte zugeraten zu haben.
Das Landgericht Dresden hatte den Makler zunächst auf Schadensersatz in Höhe von 375.000 EUR verurteilt. Gegen dieses Urteil wurde von beiden Parteien Berufung eingelegt. Die Berufung des Maklers war erfolgreich und führte zu einer vollständigen Klageabweisung.
Rechtliche Wertung
Die Klägerin hatte nach Ansicht des OLG weder aus eigenem noch ererbtem (§ 1922 BGB) Recht einen Anspruch gegen den Makler aus § 63 VVG bzw. §§ 60, 61 VVG i. V. m. § 280 BGB.
1. Kein Schadensersatz aufgrund Verletzung der Dokumentationspflicht
Der Makler habe zwar die Dokumentationspflicht aus § 61 Abs. 1 S. 2 VVG verletzt. Dies führe für sich genommen aber nicht zu einem Schadenersatzanspruch.
- „Diese Pflichtverletzung kann zwar Beweiserleichterungen bis hin zu einer Beweislastumkehr mit sich bringen (BGH, aaO), vermag aber allein für einen wie hier geltend gemachten, aus einer Falschberatung resultierenden Schaden nicht kausal zu sein. Eine Verletzung der Dokumentationspflicht führt für sich genommen noch nicht zu einem Schadenersatzanspruch, da diese Pflicht lediglich dazu dient, das Vermittlergespräch auch zu Beweiszwecken festzuhalten und dem Versicherungsnehmer die Gründe der Entscheidung für ein bestimmtes Produkt nochmals vor Augen zu führen (OLG Dresden, Urteil vom 21. Februar 2017 – 4 U 1512/16 –, Rn. 15, juris).“
2. Kein Schadensersatz aufgrund Verletzung der Beratungspflicht
Von einer Verletzung der Beratungspflicht aus § 61 Abs. 1 S. 1 VVG sei ebenfalls nicht auszugehen. So liege hier weder eine Pflichtverletzung mit Blick auf die objektiven Gründe noch auf die subjektiven Wünsche der Eheleute vor.
- Eine Zuratenspflicht aufgrund „subjektiver Einstellungen und Vorstellungen“ setzt indes voraus, dass diese im Beratungsgespräch dezidiert geäußert werden bzw. deutlich wird, dass die Absicherung sehr gewünscht ist. Die persönlichen oder situationsgebundenen Umstände des Versicherungsnehmers müssen für den Vermittler offenbar geworden sein (Langheid/Wandt/Reiff, 3. Aufl. 2022, VVG § 61 Rn. 9). Die Klägerin ist darlegungs- und beweisbelastet für einen derartigen Gesprächsinhalt, denn grundsätzlich hat der den Schadensersatz begehrende Kunde bzw. Versicherungsnehmer darzulegen und zu beweisen, dass der Versicherungsvermittler seine Beratungspflicht verletzt hat, wobei den Versicherungsvermittler allerdings eine sekundäre Darlegungslast trifft (BGH, Urteil vom 25. September 2014 – III ZR 440/13 –, Rn. 34, juris).
Dass ein solches Interesse bestanden haben soll, hat der Makler bestritten. In diesem Fall ist auch die fehlende Dokumentation unschädlich. Zu berücksichtigen sei, dass der Verstoß gegen die Dokumentationspflicht zu Beweiserleichterungen zugunsten des Kunden bis hin zu einer Beweislastumkehr führen könne.
- „Dies hat aber nicht zur Folge, dass der (potenzielle) Versicherungsnehmer praktisch jedweden Inhalt des Gesprächs behaupten könnte und es sodann an dem Versicherungsmakler wäre, einen widerlegenden Inhalt – meist chancenlos – zu beweisen.“
Die Beweislastumkehr betrifft also nur einen solchen streitigen Inhalt, der als solcher auch dokumentationspflichtig, also von „wesentlicher Bedeutung“, gewesen wäre.
- „Vorliegend jedoch ist es nicht der Beklagte, welcher behauptet, in bestimmter (ihn entlastender) Weise beraten zu haben. Er bestreitet vielmehr ihn belastende Behauptungen der Klägerin. Käme es hier regelmäßig zu einer Beweislastumkehr, könnten einem Makler, der keine Dokumentation vorgenommen hatte, theoretisch jedweder Beratungsinhalt „untergeschoben“ werden, was zu einer faktisch uferlosen Haftung führen würde.“
Nach Ansicht des OLG Dresden wäre ein Hinweis, dass man ohne Risikolebensversicherung im Todesfall des Ehegatten nicht ausreichend abgesichert wäre, kein Hinweis von „wesentlicher Bedeutung“,
- „Ein Hinweis, dass man ohne Risikolebensversicherung im Todesfall des Ehegatten nicht ausreichend abgesichert wäre, wäre ferner kein Hinweis von „wesentlicher Bedeutung“, sondern eine Banalität, weshalb er auch nicht zu dokumentieren gewesen wäre.“
1 und damit auch die Literaturmeinung BeckOK VVG/Gansel/Huth, 23. Ed. 22.4.2024, VVG § 63 Rn. 80a bestätigt.
