Die richtige Beratungsdokumentation ist ein Dauerbrenner in der Vermittlerschaft. Das verwundert auch nicht, da die Beratungsdokumentation oftmals Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen ist. Während die Frage des Versicherungsschutzes über die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung geklärt ist (vgl. unsere Blogbeiträge aus 2017 und 2022), sind neben der deckungsrechtlichen Thematik auch stets die Auswirkungen auf Haftungsebene zu beachten.
Eine fehlende, lückenhafte oder unzutreffende Dokumentation kann Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr zugunsten des VN nach sich ziehen. Aber wie soll dokumentiert werden?
Der Umfang der Dokumentationspflicht richtet sich nach der Komplexität des angebotenen Versicherungsvertrags, nähere inhaltliche Anforderungen an die Dokumentation gibt es nicht. Sie muss nur klar und verständlich sein.1 Anders als der Gesetzeswortlaut ist in der Gesetzesbegründung nicht von Dokumentation, sondern von Beratungsprotokollen die Rede.2 Nicht zuletzt aus diesem Grund wird in der Praxis vermutlich häufig von „Beratungsprotokollen“ gesprochen. Auf nähere Vorgaben für die Entwicklung von Beratungsprotokollen hat der Gesetzgeber aber bewusst verzichtet.3 Solche Formulare sollten also von den Marktteilnehmern entwickelt werden. Dem Gesetzgeber war bewusst, dass ein Großteil der Vermittler „standardisierte Beratungsprotokolle“ verwendet.
Musterprotokolle sind allerdings nur von begrenztem Wert, wie entsprechende Urteile zeigen.4 So auch im aktuellen Urteil des Landgericht Halle vom 31.03.2023.
Sachverhalt
Der Kläger hat im Jahr 2014 ein mit einem leerstehenden und sanierungsbedürftigen Mehrfamilienhaus bebaute Grundstück zu einem Kaufpreis von 40.000 € erworben. Er schloss über einen Versicherungsvertreter (Beklagter) für dieses Gebäude eine Wohngebäudeversicherung zum Zeitwert ab. Als Versicherungssumme wurden 200.000 € Zeitwert angegeben; ein Unterversicherungsverzicht war nicht enthalten.
Im Rahmen des Beratungsgespräches hat der Vertreter mit Hilfe eines Wertermittlungsprogrammes das Gebäude eingegeben und einen Versicherungswert in Höhe von über 500.000 € ermittelt. Da das Gebäude zu diesem Zeitpunkt leerstehend gewesen sei, sei lediglich die Versicherung zum Zeitwert möglich gewesen. Laut Einlassung des Vertreters sei dem Kläger die daraus resultierende Prämie im Hinblick auf die Kosten der noch erforderlichen Sanierung zu hoch gewesen. Die Reduzierung des Versicherungswertes sei daher auf ausdrücklichen Wunsch des Klägers erfolgt. Er habe diesen darauf hingewiesen, dass für den Fall, dass das Gebäude nur teilweise im Wert versichert sei, die Versicherung im Schadensfall auch nur teilweise einstandspflichtig ist.
2018 kam es zu einem Brand im Gebäude. Im Rahmen der Schadensbegutachtung wurde das Gebäude mit einem Zeitwert in Höhe von 508.000 € bewertet. Der Zeitwertschaden betrug 142.689 €, die Aufräumungs- und Abbruchkosten 8925 € brutto, insgesamt demnach 151.614 €. Orientiert an den Grundsätzen der Unterversicherung erstattete die Versicherung dem Kläger 40% ohne Mehrwertsteuer, mithin 50.000 €.
Der VN verklagte daraufhin den Versicherungsvertreter auf Zahlung der Differenz in Höhe von 101.614 €.
Die Dokumentation
Der Versicherungsvertreter verwendete vorliegend einen Vordruck.
Folgende maßgebliche Eintragungen wurden vorgenommen:
-
Empfehlung des Vermittlers, konkreter Versicherungswunsch bzw. Entscheidung des Kunden
„Kundenwunsch zum Wert von 200.000 € absichern“ -
Gibt es abweichende Kundenwünsche zu den empfohlenen Versicherungen?
„Nein“ -
Nicht vom Kunden gewünschte Versicherungen/Absicherungen sowie Versicherungsantrag
„Es bestehen keine abweichenden Kundenwünsche zu den vom Vermittler empfohlenen Versicherungen/zu den empfohlenen Absicherungen.“
Die Entscheidung des Gerichts
Wird die obige Dokumentation ernst genommen, hat überhaupt keine Beratung hinsichtlich des Versicherungswertes stattgefunden noch viel weniger eine Beratung zu einem Versicherungswert von über 500.000 €. Denn es ist ausdrücklich vermerkt, dass es zu der empfohlenen Absicherung keinen abweichenden Kundenwunsch gegeben habe. Der Dokumentation ist im Übrigen nicht zu entnehmen, worauf der Kundenwunsch des Versicherungswertes von 200.000 € überhaupt beruht. Damit kann nicht nachvollzogen werden, ob dieser Kundenwunsch auf Fehlvorstellungen und Unkenntnis des Klägers als Versicherungsnehmer beruht. Dies zu ermitteln, gehört aber zu den Beratungspflichten eines Versicherungsvermittlers.
Die Dokumentation steht, soweit sie ausgefüllt ist, zudem in Widerspruch zum Vortrag des Beklagten, er habe den Kläger zu einem Versicherungswert von über 500.000 € und zur Unterversicherung beraten.
Das Gericht war schließlich davon überzeugt, dass der Vertreter seine Beratungspflichten verletzt und weder über den tatsächlichen Zeitwert noch die Folgen der Unterversicherung und des hier nicht erklärten Verzichts auf den Einwand der Unterversicherung belehrt hat.
1 vgl. Begründung zum Versicherungsvermittlergesetz BT-Drs. 16/1935, 25 linke Spalte
2 BT-Drs. 16/1935, 25 linke Spalte
3 BT-Drs. 16/1935, 25 „auf gesetzliche Vorgaben für solche Formulare wird in Anbetracht der sich ständig ändernden Produkte verzichtet.“
4 vgl. z.B. OLG München, Urteil vom 22.06.2012 — 25 U 3343/11 und LG Wuppertal, Urteil vom 04.08.2011 — 9 S 99/10.