Eine zusammenfassende Darstellung zu OLG München, Endurteil vom 25.11.2020 – 15 U 2415/20 Rae.
I. Ausgangsfall
Gegen einen Rechtsanwalt (RA1) war von der Staatsanwaltschaft München I ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, welches später nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurde. Der Rechtsanwalt empfand das Vorgehen des zuständigen Staatsanwalts als schikanös. Nachdem eine Strafanzeige eingestellt worden war, beauftragte er seinerseits einen Rechtsanwalt (RA2), um zivilrechtliche Ansprüche gegen den Staatsanwalt persönlich durchzusetzen.
Die Rechtsschutzversicherung von RA1 erteilte für das außergerichtliche Tätigwerden und das erstinstanzliche Verfahren eine Deckungszusage.
Die Klage gegen den Staatsanwalt wurde abgewiesen, weil das mit der Sache beschäftigte Gericht davon ausging, dass dieser nicht neben seiner Amtstätigkeit als Privatperson tätig gewesen sei und ihm eine Pflichtverletzung im Rahmen seiner staatsanwaltlichen Tätigkeit insofern auch nicht persönlich vorgeworfen werden könne.
Die Rechtsschutzversicherung verweigerte eine Deckungszusage für ein etwaiges Berufungsverfahren. Das Urteil wurde rechtskräftig.
II. Rechtschutzversicherer contra Rechtsanwalt
Anschließend machte die Rechtsschutzversicherung gegenüber RA2 geltend, dass RA1 keinen Auftrag zum außergerichtlichen und gerichtlichen Tätigwerden erteilt hätte, wenn dieser ordnungsgemäß darüber aufgeklärt worden wäre, dass sein Vorgehen keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Dadurch hätte RA2 eine Pflicht aus dem Anwaltsvertrag verletzt und sich schadensersatzpflichtig gemacht. Dessen Schadensersatzanspruch in Höhe von 6.044,87 EUR sei auf den Rechtsschutzversicherer übergegangen.
RA2 hielt dem entgegen, er hätte RA1 sehr wohl darüber aufgeklärt, dass es schwierig sei auf dem vorbeschriebenen Wege gegen einen Staatsanwalt vorzugehen. Auch hätte er von der Einholung einer Kostenzusage bei der Rechtsschutzversicherung abgeraten. RA1 hätte jedoch auf der Einholung einer Deckungszusage bestanden. Hätte es diese nicht gegeben, wäre kein Auftrag erteilt worden.
Das Landgericht München I hat RA2 entsprechend dem Antrag der Rechtsschutzversicherung verurteilt. Es sah es als erwiesen an, dass RA2 seinen Mandanten nicht darüber aufgeklärt hätte, dass das Vorgehen gegen den Staatsanwalt keinerlei Aussicht auf Erfolg gehabt hätte.
III. Die Entscheidung des OLG
Sehr wohl Erfolg hatte allerdings die hiergegen gerichtete Berufung von RA2.
1. Keine Pflichtverletzung
Das OLG stellte zunächst heraus, dass an die Belehrungspflicht eines Anwalts gegenüber einem rechtsschutzversicherten Mandanten keine geringeren Anforderungen zu stellen seien als gegenüber einem nicht rechtsschutzversicherten Mandanten. Bezogen auf den konkreten Streitgegenstand ging es allerdings nicht von einer Pflichtverletzung von RA2 aus. In Konstellationen, in denen die Abgrenzung zwischen einer völlig aussichtslosen Klage und einer Klage mit äußerst geringen Erfolgsaussichten schwierig sei, sei es zulässig – in Abstimmung mit dem rechtsschutzversicherten Mandanten – die Frage der Klageerhebung von einer Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung abhängig zu machen. Der Rechtsanwalt sei ausschließlicher Interessenvertreter seines Mandanten und hätte als solcher auch dessen Wunsch nach Rechtsverfolgung zu berücksichtigen und, soweit möglich, umzusetzen. Gegenüber der Rechtsschutzversicherung seines Mandanten müsse ein Rechtsanwalt lediglich dessen Obliegenheit berücksichtigen, den Versicherer über die tatsächlichen Gegebenheiten des Falles zutreffend zu informieren.
2. Keine Kausalität
Außerdem – so das OLG – sei auch nicht erkennbar, dass RA1 von der Einholung einer Deckungszusage abgesehen hätte, wenn ihm RA2 mitgeteilt hätte, dass die Klage ohne Erfolgsaussicht gewesen wäre
3. Kein Vermögensschaden
Doch nicht nur an Pflichtverletzung und Kausalität fehlte es nach Auffassung des OLG, sondern auch an einem (hypothetischen) Schaden. Denn RA1 hatte vor Erteilung der Kostenzusage keine Zahlungen erbracht und auch noch keinen unbedingten Anwaltsauftrag erteilt. Zu keinem Zeitpunkt hätte er also einen Vermögensschaden gehabt, der auf den Rechtsschutzversicherer hätte übergehen können.
4. Keine Rechtsgrundlage für Regressforderungen
Abschließend setzte sich das OLG nochmals ausführlich – ausführlicher als eingangs im Zusammenhang mit dem Vorliegen einer Pflichtverletzung – mit den in derartigen Fällen einschlägigen Rechtsverhältnissen und den daraus resultierenden Pflichten auseinander:
Zwischen Rechtsanwalt und Rechtsschutzversicherer besteht unstreitig kein Rechtsverhältnis. Auch das Mandantenverhältnis entfalte keine Schutzwirkung zugunsten des Rechtsschutzversicherers. Umgekehrt könne sich ein Rechtsanwalt schließlich auch nicht auf eine Schutzwirkung aus dem Rechtsschutzvertrag berufen. Daraus folge, dass der Rechtsanwalt gegenüber der Rechtsschutzversicherung nur die den VN treffenden Obliegenheiten beachten müsse, damit der Versicherer in die Lage versetzt werde, seine Eintrittspflicht (und die Erfolgsaussichten der beabsichtigen Rechtsverfolgung) prüfen zu können. Der Rechtsanwalt sei nur Wissensvertreter seines Mandanten nach § 166 BGB. Die Unterrichtungspflicht beziehe sich nur auf tatsächliche Gegebenheiten. Es bestünde keine Pflicht auf eine etwaige Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung hinzuweisen. Dies stehe nicht im Widerspruch zur Schadenminderungspflicht. Diese beziehe sich nämlich nicht auf Rechtsfragen. Die Prüfung der Erfolgsaussichten einer Klage sei Sache des Versicherers. Weil § 278 BGB hinsichtlich versicherungsvertraglicher Obliegenheiten nicht gelte und der Rechtsanwalt nicht Repräsentant seines Mandanten sei, finde auch keine Zurechnung statt.
Zudem sei ein regressfähiger Schaden bereits deshalb abzulehnen, weil der Rechtsschutzversicherer durch die Deckungszusage ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis abgegeben hätte, dass er nicht nicht rückwirkend wieder entziehen könne. Sinngemäß führte das OLG aus, dass es der Versicherer selbst in der Hand gehabt hätte, den (eigentlich nur bei ihm entstandenen) Schaden zu verhindern, wenn er den Einwand fehlender Erfolgsaussicht rechtzeitig erhoben hätte. In Summe fehle es also an einer Rechtsgrundlage für die Inanspruchnahme des Rechtsanwalts.
IV. Wertung
Die Entscheidung des OLG ist zu begrüßen. Stellt ein (noch) nicht anwaltlich vertretener VN eine Deckungsanfrage an seine Rechtsschutzversicherung, wird von diesem nicht erwartet, dass er die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung parallel selbst beurteilt. Dies ist Sache des Versicherers. Mandatiert der VN aufgrund der Deckungszusage des Versicherers einen Rechtsanwalt und unterliegt im nachfolgenden Rechtsstreit, würde wohl niemand ernstlich auf die Idee kommen, dem Rechtsanwalt das Kostenrisiko aufbürden zu wollen. Es ist nicht einzusehen, warum dies bei einem Rechtsanwalt anders sein sollte, der es für seinen Mandanten übernommen hat, eine Rechtsschutzanfrage zu stellen. Vielmehr erscheint es geradezu rechtswidersprüchlich, wenn ein über die Ausgangslage korrekt informierter Rechtsschutzversicherer erst – wider besseres Wissen oder ins Blaue hinein – das fragwürdige Vorgehen seines VN mitträgt (und sich deshalb möglicherweise noch als VN-freundlicher Versicherer geriert), dann aber versucht, sich beim Rechtsanwalt des VN (faktisch bei dessen Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung) freizuzeichnen.