Nicht-Anwendung von DIN-Normen – ein Anwendungsfall für den Ausschlussgrund der wissentlichen Pflichtverletzung in der Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Versicherungsvermittlern?
Die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung ist ein elementarer Schutz für Versicherungsvermittler, um sich vor den finanziellen Folgen durch Beratungsfehler zu schützen. Immer wieder ranken sich in diesem Zusammenhang Mutmaßungen, inwieweit der Schutz dieser Deckung insbesondere durch den Ausschlussgrund der wissentlichen Pflichtverletzung eingeschränkt werden beziehungsweise letztlich entfallen könnte. In einem Fachartikel1 wird aktuell die Hypothese aufgestellt, dass sich Vermögensschaden-Haftpflichtversicherer auf diesen Ausschluss berufen könnten, wenn Vermittler im Rahmen ihrer Tätigkeit DIN-Normen unberücksichtigt lassen. Aber ist das tatsächlich so?
Was bedeutet der Ausschluss der wissentlichen Pflichtverletzung?
Der Ausschluss der wissentlichen Pflichtverletzung ist eine Klausel in der Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung, die besagt, dass die Versicherung nicht für Schäden aufkommt, die wissentlich durch den Vermittler verursacht wurden. Anders ausgedrückt: Wenn ein Vermittler bewusst Regeln, Gesetze oder allgemein seine Berufspflichten verletzt, wird die Versicherung die Deckung versagen.
In den Versicherungsbedingungen heißt es, dass Haftpflichtansprüche
„wegen Schadenstiftung durch wissentliches Abweichen von Gesetz, Vorschrift, Anweisung oder Bedingung des Machtgebers (Berechtigten) oder durch sonstige wissentliche Pflichtverletzung, insbesondere Verletzung der Schweigepflicht sowie unbefugte Verwertung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen. […]“2
oder kurz:
„wegen wissentlicher Pflichtverletzung […]“3 ausgeschlossen sind.
Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit der Ausschluss greift?
Im Einzelnen setzt der Ausschluss wegen wissentlicher Pflichtverletzungen folgendes voraus4:
- Bestehen einer Pflicht (Was hätte der VN tun müssen?)
- Verletzung der Pflicht (Inwieweit hat der VN nicht pflichtgemäß gehandelt?)
- Pflichtbewusstsein (Wusste der VN, welche Pflicht ihn traf bzw. wie er sich zu verhalten hatte?)
- Pflichtverletzungsbewusstsein (Wusste der VN, dass er die Pflicht verletzt?)
- Kausalität (Ist die Pflichtverletzung für den Schaden kausal gewesen?)
Ist die Anwendung von DIN-Normen eine Pflicht im Sinne des Ausschlusses?
Der Ausschluss der wissentlichen Pflichtverletzung regelt nicht abschließend, welche Pflicht wissentlich verletzt sein muss. Die genannten Fälle des wissentlichen Abweichens von Gesetz, Vorschrift, Anweisung oder Bedingungen des Machtgebers (Berechtigten) sind nur beispielhaft genannt, wie insbesondere auch die Formulierung „oder durch sonstige wissentliche Pflichtverletzung“ zeigt.
Ist nun aber auch eine DIN-Norm und deren Beachtung eine Pflicht im Sinne des Ausschlusstatbestandes? Hierzu gilt es zunächst zu klären, was eine Norm ist. Eine Norm ist ein Dokument, das Anforderungen an Produkte, Dienstleistungen oder Verfahren festlegt.5 Normen sind nicht bindend, das unterscheidet sie von Gesetzen.6
Nach der Rechtsprechung muss sich die wissentliche Pflichtverletzung aber auf die Verletzung einer im konkreten Auftrag bestehenden konkreten Pflicht beziehen.
Dies bedeutet, dass eine DIN-Norm der Sache nach auch unter den Anwendungsbereich des Ausschlussgrundes fallen kann: aber nur, wenn sie als vereinbart gilt. Solange eine DIN-Norm jedoch keine vertragliche oder gesetzliche Pflicht ist, scheidet der Ausschlussgrund im Umkehrschluss aus.
Somit werden in der Praxis nur höchst selten Konstellationen anzutreffen sein, in denen die Nichtbeachtung einer DIN-Norm als wissentliche Pflichtverletzung gewertet werden könnte.
Was sagen die Versicherer dazu?
Der Autor des Fachartikels behauptet:
„Den allermeisten VSH-Versicherern sind nämlich die bestehenden DIN-Normen für Finanzdienstleistungen und ihr Nutzen bekannt. Aus ihrer Sicht könnte es sich also bei Nicht-Anwendung um eine wissentliche Pflichtverletzung handeln, die nach vielen Deckungskonzepten zum Risikoausschluss in der VSH führt.“
Wir haben daher bei unseren Konzeptpartnern um Stellungnahme gebeten, wie sich diese hinsichtlich der Annahme in Bezug auf die wissentliche Pflichtverletzung positionieren.
Das Ergebnis ist eindeutig: Alle Versicherer teilen im Ergebnis unsere Auffassung und würden sich, sofern nicht explizit zwischen den Parteien vereinbart, nicht auf den Ausschluss berufen können bzw. wollen. Solange die Anwendung einer DIN-Norm keine (vertragliche oder gesetzliche) Pflicht ist, scheidet dieser Risikoausschluss aus.
Fazit
Die Nichtanwendung von DIN-Normen kann den Ausschluss der wissentlichen Pflichtverletzung nur dann begründen, wenn die Anwendung zwischen den Parteien vereinbart wurde oder sie anderweitig zur Pflicht wird.
1 www.pfefferminzia.de/kundenberatung-finanznormen-schuetzen-vermittler-vor-haftungsfaellen/
2 Allianz, HV 70/05
3 ALLCURA, AVB-Allgemein 2022-08
4 vgl. Späte/Schimikowski/Diller, 2. Aufl. 2015, AVB‑V § 4 Rn. 46
5 vgl. www.din.de/de/ueber-normen-und-standards/basiswissen
6 vgl. www.din.de/de/ueber-normen-und-standards/normen-und-recht/rechtsverbindlichkeit-durch-normen